BUSCHMANN-Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zum Rentenpaket der großen Koalition

14.06.2014
Marco Buschmann, Bundesgeschäftsführer der FDP
Marco Buschmann,
Bundesgeschäftsführer der FDP

Berlin. Der FDP-Bundesgeschäftsführer MARCO BUSCHMANN schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Am 23. Mai kam es im Deutschen Bundestag zu einer bemerkenswerten Koinzidenz: Zunächst gedachte das deutsche Parlament des 65. Jahrestages des Inkrafttretens des Grundgesetzes. Unmittelbar danach beschlossen die Abgeordneten das sogenannte Rentenpaket der großen Koalition. Ob dieses Rentenpaket, gemessen am Maßstab des Grundgesetzes, dauerhaft bestehen kann, ist äußerst zweifelhaft.

Die kritischsten Fragen rühren von der Eigentumsgarantie in Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes her. Sie schützt den „Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich“, wie das Bundesverfassungsgericht feststellte. Ihr Ziel ist es, dem Einzelnen „eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens“ zu ermöglichen. Frei sein kann eben nur der Bürger, der „auf die Früchte seiner Arbeit“ (John Locke) vertrauen kann, statt völlig in das goldene Zaumzeug staatlicher Verteilungspolitik eingespannt zu werden. In den Schutzbereich der Eigentumsgarantie fallen auch Rentenanwartschaften – also die künftigen Ansprüche auf Zahlungen aus dem System der gesetzlichen Rente. Denn diese Anwartschaften sind der Gegenwert für die geleisteten Beiträge des Beitragszahlers in das System und mithin auch „Früchte seiner Arbeit“.

Gleichwohl besitzt der Gesetzgeber einen großen Spielraum bei der Ausgestaltung der konkreten Rentenansprüche. Dieser Spielraum leuchtet jedenfalls für die Vergangenheit auch ein. Denn die Einzahlungen eines Anspruchsberechtigten entsprachen nur einem Bruchteil der Auszahlungen, die er aus dem Rentensystem erhielt. Zu Beginn der 1980er Jahre entsprach diese Eigenfinanzierungsquote beispielsweise etwa nur 20 bis 30 Prozent. 70 bis 80 Prozent der Auszahlungen beruhten also auf der Gewährung einer staatlichen Leistung. Bei der Gewährung von Leistungen besitzt der Gesetzgeber aber naturgemäß einen größeren Spielraum als bei der klassischen Eingriffsverwaltung. Andernfalls erstarkte jede beitragsbezogene soziale Leistung sofort zum verfassungsmäßigen Besitzstand. Der Sozialstaat wäre dann gänzlich unfähig zu Reform oder Modernisierung.

Die Eigenfinanzierungsquote der Rente ist aber schon aufgrund des demographischen Wandels in den letzten Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Mitte der 1990er Jahre betrug sie bereits annähernd 90 Prozent, folgt man Franz Ruland. Er warnte bereits 1996: „Das künftige Problem der Rentenversicherung wird nicht eine zu niedrige Eigenfinanzierungsquote sein, sondern dass eine von über 100 Prozent vermieden werden muss.“

Das Problem einer Eigenfinanzierungsquote von mehr als hundert Prozent besteht darin, dass sie im Grunde eine verfassungswidrige Enteignung des Beitragszahlers darstellt. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hat schon zum Ende des letzten Jahrtausends festgestellt, dass mit zunehmendem Eigenfinanzierungsanteil der Rente der Spielraum des Gesetzgebers bei der Gestaltung der Rentenpolitik mehr und mehr auf das Maß beschränkt wird, das ihm Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz auch bei klassischen Eingriffen in das Eigentum lässt. Nach der „Generosität staatlicher Füllhornpolitik“ komme es nun „zum verfassungsrechtlichen Ernst- und Spannungsfall größter Dimension“, so Papier.

Genau diesen „Ernst- und Spannungsfall“ eskaliert das Rentenpaket schamlos: Der Bochumer Ökonom Martin Werding hat errechnet, dass ein heute 13-Jähriger im Laufe seines Lebens durchschnittlich 77000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen muss, als diese ihm auszahlen wird. Dieser Zustand wird durch das Rentenpaket massiv verstärkt. Denn die finanzielle Last der Einzahlungen wird erheblich steigen. Die künftigen Auszahlungen aus dem Rentensystem werden hinter diesen Einzahlungen noch deutlicher zurückbleiben.

Das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik hat errechnet, dass die Rentenbeiträge in den Jahren 2017/2018 um 1,3 Prozent steigen werden. Sollte es, was schon aus statistischen Gründen zu erwarten ist, in Deutschland auch einmal wieder eine Konjunkturflaute geben, werden die Beiträge aufgrund der geringeren Menge an Beitragszahlungen noch stärker steigen müssen. Die Summe der Einzahlungen in das System durch heutige und künftige Beitragszahler steigt also erheblich.

Aufgrund der gesetzlichen Nachhaltigkeitsformel in der Rentenversicherung werden die Rentenerhöhungen gleichzeitig gedämpft, wenn die Ausgaben der Rentenkasse steigen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat errechnet, dass bereits 2014 durch das Rentenpaket die Rentenerhöhung für das kommende Jahr um 0,91 Prozentpunkte geringer ausfallen wird. Die Anspruchsberechtigten erhalten demnach 2015 1,2 Milliarden und 2016 2,5 Milliarden weniger als geplant.

Nun mag man einwenden, dass Artikel 14 Grundgesetz für gewöhnlich keinen Schutz vor staatlichen Geldzahlungspflichten bieten möge. Aber die oben angestellten Überlegungen lassen genauso Zweifel daran aufkommen, ob der Rentenbeitrag seiner verfassungsrechtlichen Qualifikation als Beitrag im Numerus clausus zulässiger Geldleistungspflichten gerecht wird. Ein Beitrag darf eben nur dann erhoben werden, wenn der Staat dem Beitragspflichtigen einen individuell zuweisbaren Vorteil bietet. Worin sollte dieser Vorteil aber bestehen, wenn die Eigenfinanzierungsquote die Schwelle von hundert Prozent überschreitet? Der Tausch eines Beitrags in Höhe von hundert für eine künftige Auszahlung von neunzig ist kein Vorteil. Das ist kein juristisches Hochreck, sondern schlichte Mathematik.

Wir steuern also in Kürze auf einen Zeitpunkt zu, zu dem sich junge Berufseinsteiger möglicherweise auflehnen werden gegen ein System, das ihnen nur Lasten auferlegt, aber keine Perspektive bietet. Sie werden weniger zu den Waffen greifen, wie es einmal Friedrich August von Hayek düster prognostiziert hat, um sich gegen die Ausbeutung durch ungerechte Verteilungsmechanismen zwischen den Generationen zu wehren. Sie werden vielleicht schlicht zum zivilisierten Mittel der Verfassungsbeschwerde greifen.

Quelle: http://www.liberale.de/content/buschmann-gastbeitrag-fuer-die-frankfurter-allgemeine-zeitung